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ARBEITSSTELLE | Erinnerungen

Julian Harm, Studierender im Masterstudiengang M. Ed. Sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, vorherige Erfahrung mit politischer und diskriminierungssenisbler Bildung im Rahmen eines FSJ Politik an der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Auch während seiner Bachelorarbeit setzte sich Julian Harm geschichtswissenschaftlich mit der Sondererfassung und Verfolgung von Sinti*zze und Rom*nja im regionalen Kontext der Stadt Worms auseinander.

 

Bericht über den persönlichen Erfahrungshorizont und eigene Arbeitsschwerpunkte an der Arbeitsstelle Antiziganismusprävention

von Julian Harm

Mein Weg zur Arbeitsstelle Antiziganismusprävention war für mich überraschend und erfreulicherweise kurz. Nach dem Ende meines Freiwilligen Sozialen Jahrs an der Gedenkstätte Bergen-Belsen, in dem ich bereits erste Anknüpfungspunkte mit der Verfolgung von Sinti*zze und Rom*nja im Nationalsozialismus und dem Beginn der Bürgerrechtsbewegung in der Bundesrepublik sammeln durfte, begann mein Lehramtsstudium an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Bereits am Ende des ersten Semesters meines Bachelorstudiums wurde ich als Hilfskraft für die damals noch nicht gegründete Arbeitsstelle von Prof. Dr. Degner vorgeschlagen. Seit Frühjahr 2018 bin ich nun „Hiwi-der-ersten-Stunde“ und stolz, diese Institution mit Wort und Tat zu unterstützen.

Für mich war und ist es ein großes Anliegen für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu sensibilisieren, mich dementsprechend weiterzubilden und das gesammelte Wissen an andere Akteure weitergeben. Diesem Anliegen konnte ich in der Rolle als Hilfskraft nachkommen, indem ich mit Formaten zur Weiterbildung wie Workshops und der Erstellung von Informationsmaterial zum Abbau antiziganistischer Stereotype innerhalb der Gesellschaft beitragen durfte. Unserem Leitbild nach möchten wir uns als Arbeitsstelle Antiziganismusprävention nachhaltig dafür einsetzen, dass erstens eine Antwort auf die gesellschaftlich breit legitimierte, spezifische Form des Rassismus Antiziganismus und dessen Wissenskomplex gegeben wird, zweitens uns dafür stark machen, dass dieser Antiziganismus durch Sensibilisierungs- und Transferarbeit eine breitere gesellschaftliche Ächtung erfährt, drittens Sinti*zze und Rom*nja dadurch im kollektiven Gedächtnis unserer Gesellschaft einen Prozess der De-Ethnisierung erfahren und uns viertens und letztens an dem Wissenstransfer in engem Austausch mit Kooperationspartner*innen für einen Abbau von gesellschaftlich-konstruierten Barrieren gegenüber der Minderheit einsetzen. Seit dem ersten Tag als Hilfskraft an der Arbeitsstelle Antziganismusprävention zeigte sich mein Arbeitsplatz als divers, abwechslungsreich und immer wieder herausfordernd. Mein Aufgabenspektrum reichte von der Unterstützung der Konzeptionierung und Durchführung von Workshops, der Vorbereitung und Begleitung der Hochschullehre in Form von Veranstaltungen und einer Tagung zu rassismuskritischen Inhalten in pädagogischen Kontexten, der Erstellung von Blogbeiträgen, die Betreuung des digitalen Auftritts der Arbeitsstelle, bis hin zur Vorbereitung und Durchführung eines Zeitzeugengesprächs. Auch die Recherche und Konzeptionierung des Bereichs „Antiziganismus und Polizei“, unseres digitalen Stadtrundgangs, der sich mit der Sondererfassung von Sinti*zze und Rom*nja innerhalb der Polizei befasst, durfte ich maßgeblich betreuen. Schließlich motivierte mich die intensive Einarbeitung in das Themenfeld Antiziganismus, und die mir dadurch ersichtlich gewordene historische Dimension der Verfolgung der Minderheit, meine Bachelorarbeit der Sondererfassung und Verfolgung von Sinti*zze und Rom*nja der Stadt Worms zu widmen. Die gesammelten Erkenntnisse und zusammengetragenen Informationen aus dieser wissenschaftlichen Arbeit sollen zukünftig in einem weiteren Schritt für Schulklassen, möglichst barrierearm, in Form von Bildungsmaterialien aufgearbeitet werden.

Retroperspektivisch gesehen hat sich für mich als ein unvergesslicher Moment meiner Arbeit die persönlichen Begegnungen mit Aktivist*innen und im Besonderen mit dem Zeitzeugen Stefan Köcher herausgestellt, den ich 2020 in einem lebensbezogenen Zeitzeugengespräch interviewen durfte. Die persönliche Geschichte und die Eindrücke aus erster Hand zu erfahren und durch die Aufbereitung zu einem kontextualisierten Zeitzeugengespräch zu einem Teil der regionalen Oral History werden zu lassen, hat meine Perspektive nachhaltig beeinflusst. Denn nüchterne Fakten sind das eine, die persönliche Überlieferung ist das Andere. Diese bietet einen emotionalen Zugang zu historischen Ereignissen und ermöglicht Geschichtsvermittlung als Bereicherung zu erfahren. Resümierend möchte ich der Arbeitsstelle für die lehrreichen, herausfordernden und inspirierenden Erfahrungen und Erlebnisse meinen Dank aussprechen. Die Stelle als Hilfskraft hat meinem Studium maßgeblich einen Stempel aufgedrückt. Die antiziganismuskritischen Inhalte, Begegnungen mit Bürgerrechtsaktivist*innen und Zeitzeug*innen haben mich geprägt und wachsen lassen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass diese vermittelnde Stimme der Arbeitsstelle, die mit viel Engagement über antiziganismuskritische und rassismuskritische Inhalte in der wissenschaftlichen Landschaft in Deutschland informiert, verstetigt wird. Denn die Arbeitsstelle Antiziganismusprävention stellt für mich einen Türöffner für die weitere Forschung und pädagogische Auseinandersetzung dar und ist nach wie vor einzigartig in ganz Deutschland. So wäre das Erlöschen dieser wichtigen Stimme ein Rückschritt innerhalb einer Zeit des Aufbruchs für die pädagogische Auseinandersetzung innerhalb der kritischen Antiziganismusforschung.

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